Wo ist Berta? Oder: das große Schlachtfest

Novembertage, brrrrrrr, das nasskalte Wetter zieht in jede Fuge. Jetzt mit meinen 100 Jahren mag ich es lieber etwas wärmer. Als junger Turm hat mir das Wetter nicht so viel ausgemacht. Ach ja, das waren Zeiten.

Ich erinnere mich gut: November, die Tage werden kürzer, die Temperaturen gehen runter, das ist genau die richtige Zeit um die Fleischvorräte aufzufüllen. Die lästigen Brummer und Fliegen sind verschwunden und so kann das Geschlachtete besser aufbewahrt werden. Kühl- und Gefrierschränke gibt es nur selten.

Darmwurst, Pökelfleisch und Schinken werden in Speisekammer, Wurstkammer, im Keller oder auf dem Boden aufbewahrt, Schinken zum Schutz vor Brummern im Jutesack, Leinenbeutel oder einfach einem Kopfkissenbezug.

So ein Schlachtfest will gut vorbereitet sein. Da gibt es einiges zu tun. Ich muss nur Augen und Ohren offenhalten, dann weiß ich wo das nächste Schweinchen auf die Leiter kommt.

Die Hausfrau fährt zum Tante Emma Laden gleich neben an und kauft Wurstebänder, Schlachtzutaten wie Pökelsalz, Pfeffer, Nelkenpfeffer auch Piment genannt, Majoran, Thymian, Kümmel, Gewürznelken, Muskatnuss.

Nicht zu vergessen, die wichtigsten Zutaten: Steinhäger oder Korn.


Am Vortage der Schlachtung werden Schlachtetisch, drei Mollen (groß, mittel, klein), Schneidbretter, Sleif (hölzerne Kelle) und Waschkessel (Bruggepott) gründlich geschrubbt sowie diverse Eimer bereitgestellt.

Auch die Wurstdosen und Einkochgläser werden gesäubert und parat gestellt.

Ausreichend Zwiebeln aus dem eigenen Garten stehen bereit.


Geräte wie Brennetrog, Fleischwolf, Mettwurstmaschine, Fleischkelle und Knochensäge stellt der Hausschlachter zur Verfügung. Diverse Messer hatte der Hausschlachter im Köcher „am Mann“ und bringt Geräte wie Bolzenschussapparat, Patronen, Schabglocken, Teigschaber, Wetzstahl und Darmfüller selbst mit.

Den Schlachter erkenne ich schon von weitem. Er trägt blauweiß-gestreifte Kleidung, eine Gummischürze und fährt natürlich mit dem Fahrrad zum Schweinebesitzer um dort zu schlachten.

Hängt das Schwein dann endlich auf der Leiter ist es Zeit für den ersten Schluck aus der Steinhägerflasche. „Wenn das Schwein am Haken hängt, wird erst einer eingeschenkt“.

Da kommt auch schon der Trichinenbeschauer mit dem Rad daher. Wenn er sein okay gibt, gibt es den nächsten Schluck aus der Flasche.

Jetzt wird die gute alte Berta zerteilt. Nichts wird weggeworfen, alles wird verwertet.

Blut- und Leberwurst, Mettwurst, Sülze, Kottelets, Braten, Schinken, Bauchspeck, das Flomenfett für das Griebenschmalz, die Beine für das Eisbein, die Ohren für´s Pökelfleisch und das Schweineschwänzchen kommt in die Graupensuppe.

Die Würste kommen in den Bruggepott, dürfen dort ziehen, nicht kochen und kommen anschließend in Wurstekammer, die immer gut verschlossen ist. Der Schinken kommt in den Pökeltrog und die eingekochten Dosen und Gläser in die Vorratskammer.

Ab und zu zieht mir ein feiner Rauchgeruch in die Nase. Das ist bestimmt von einem Räucherschrank, den haben einige zu Hause.

Alles wird wieder blitzblank geputzt, die Leiter wieder an Ort und Stelle gehängt und zum Abschluss noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Steinhägerflasche.

Die nächsten Abende, wenn die Familie in der warmen Wohnstube sitzt und die leckeren Wurstbrote genießt, dann, ja dann erinnern sie sich an Berta wie sie an den heißen Sommertagen ein kühles Bad in der Zinkwanne genommen hat und schmunzeln und lachen und nehmen noch einen Schluck aus der Flasche und stoßen auf Berta an.

Ein paar Tage später sehe ich wieder eine Hausfrau zum Tante Emma Laden gehen, der Schlachter in seiner blau-weiß-gestreiften Kleidung kommt auf dem Fahrrad vorbei und ich ahne schon was passiert.

Ja, von Dezember bis Februar ist Hochsaison der Hausschlachterei.

Das Ende jeder Berta.